An der MLS hat’s geknallt!
Den folgenden launisch-ironischen Beitrag erhielt ich von einem früheren Schüler unserer Martin-Luther-Schule. Karl-Heinz Töpfer lebt zwar inzwischen in Monheim am Rhein, ist aber nach wie vor in Marburg verwurzelt. Viele seiner Beiträge finden sich in dem Online-Portal von myheimat.de. Der hier veröffentlichte Beitrag erscheint in der nächsten Ausgabe des Marburger Nachtwächterboten.
Karl-Heinz, hab’ herzlichen Dank für Deine Zeilen! Und sollten Dich weitere Erinnerungen an Deine Schulzeit quälen, sind unsere Leser hier bestimmt dankbare Abnehmer.
Ein Schuss in der Martin-Luther-Schule, der förmlich in die Hose ging.
Wenn ich Marburg auf der Bundesstraße 3 durchfahre, fällt mir nicht nur das markante Antlitz der ehrwürdigen Martin-Luther-Schule ins Auge, sondern auch die schmerzhafteste Episode meiner schulischen Laufbahn ein. Diese liegt über 50 Jahre zurück und erinnert an ein Schulsystem, dem Begriffe wie Förderung, Entwicklung, Respekt und Wertschätzung weitgehend fremd waren. Oder ich war noch zu jung, um diese pädagogischen Werte erkennen und begreifen zu können.
Stattdessen haben sich morgendliches Strammstehen, prügelnde Lehrer, aber auch der leckere Kakao in der großen Pause in meine Erinnerung gebrannt. Nein, ein Musterschüler war ich beileibe nicht. Wenn nach Klassenarbeiten die Noten coram publico verkündet wurden und bei schlechten Noten einem das “Friedrich-Wilhelm-Heft“ höhnisch um die Ohren gehauen wurde, das waren wahrlich keine großen Momente schulischer Erziehung, zumal sie zuhause zusätzlich ihre schmerzhafte Vollendung fanden. Irgendwann, als sich in “Blauen Briefen“ für Mathematik, Chemie und Latein ein schlimmes Ende des Schuljahres anbahnte, schwang sich in einem Akt christlicher Nächstenliebe sogar noch der Religionslehrer mit auf das Trittbrett.
Bei der unweigerlich folgenden Wiederholung der Untertertia fand die Episode Martin-Luther-Schule schließlich unerwartet ihr jähes Ende. Während sich in einer Deutschstunde der Lehrer erfolglos bemühte, ein Tonbandgerät in Betrieb zu nehmen, döste die Klasse gelangweilt in Gruppenarbeiten vor sich hin. Und da ich zu jener Zeit meinte, nur noch bewaffnet dem schulischen Leistungsdruck gewachsen zu sein, spielte ich ebenso gelangweilt in der Hosentasche am Abzug meiner Schreckschuss-Pistole, die mir ein älterer Freund besorgt hatte. Plötzlich krachte ein Schuss durch meine Hose und riss die Klasse aus der Lethargie. Unser Deutschlehrer, in der Gewissheit durch einen elektrischen Schlag seine Pensionierung übersprungen und ohne Zwischenstopp das Nirwana erreicht zu haben, starrte leichenblass auf das Tonbandgerät. Es folgte noch das Klirren einer Fensterscheibe als ich in höchster Not die Tatwaffe entsorgte. Der Abschiedstanz war zum Greifen nahe.
Zwei Stunden Nachsitzen, Einbestellung der Eltern – consilium abeundi, gleichsam in einem Western die Aufforderung, die Stadt umgehend zu verlassen. Ich hatte Glück, ein anders Gymnasium gab mir eine zweite Chance, und wie durch Zauberhand schien auch der Knoten geplatzt zu sein. Ironie des Schicksals, ich schaffte das große Latinum und das Abitur im mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig. Wahlprüfungsfach Religion mit dem Thema Martin Luther.
Nein, traumatischen Schaden habe nicht genommen. Nur ein Schmunzeln im Rückblick auf eine abgeschlossene Episode auf meinem etwas holprigen Weg zu einem anständigen Menschen ist geblieben. Aber auch die Gewissheit, dass Schule heute anders geht.