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Mehr Fotos dieses Abijahrgangs finden Sie in dem Bericht vom „Goldenen Abitur” der 53er, den ich unter der Kategorie „Galerien” eingespeist habe.
Zum eisernen…
…mit Bezug auf das Goldene Jubiläum des Abiturjahrgangs 1953 der OIa (Oberprima) am Städtischen Realgymnasium für Jungen in Marburg/Lahn.
Ein persönlicher Rückblick von Johannes Hepp.
Im Übrigen: To whom it may concern.
Heute, am Abend des 1. Februar 2018, fiel mir aus unerfindlichen Gründen ein, dass ich einen Brief an meine Klassenkameraden ausbrüten könnte. Ich weiß nicht, warum. Da suchte ich erst mal nach einem Anlass. Den fand ich beim Nachschlagen im Brockhaus unter Hochzeit. Die eiserne ist fällig nach 65 Jahren. Das würde passen zum 65ten Jahrestag unseren Abiturs Ostern 1953.
Das eiserne Abitur.
Klingt doch schon mal recht martialisch. Und soll als Anlass dienen. Aber wofür?
Das diamantene (60.) haben wir auch ohne Aufheben verstreichen lassen.
Das goldene aber mit einem Klassentreffen der Ehemaligen der OIa (Oberprima) des Städtischen Realgymnasium in Marburg an der Lahn am 25. u. 26 April 2003 ordentlich gefeiert. Wofür jetzt also den Brief? Erst mal, um Manfred Schenk zu danken, dass er mit großer Vor- und Nachbereitung uns restlichen Klassenkameraden, immerhin 10 von seinerzeit 15 zusammengebracht hat. Inzwischen sind wir meines Wissens reduziert auf 8 kleine Negerlein. Oder sind wir gar schon das Fähnlein der 7 Aufrechten?
Ein weiterer Grund meines Briefes: Ich m?chte auf den Vorschlag von Folker Schmidt zur?ckkommen und nachholen, wozu wir damals nicht gekommen sind.
Ein Blick zur?ck! Ein sehr pers?nlicher. Erst mal auf die Schulzeit in Marburg: Ich kam vom Landschulheim Burg Nordeck und wurde 1946 probeweise in die Quarta (7. Schuljahr) gesteckt. Wir waren damals ausquartiert (ich meine in das Nobelhotel am Ortenberg), kamen aber bald in das Schulgeb?ude mit der Architektur der Gr?nderzeit zur?ck, das schrecklich nach Bohnerwachs roch.
Das Beste war die Schulspeisung. In der gro?en Pause teilte der Hausmeister z.B. ein hei?es Kakaogetr?nk aus; das hatten wir der Besatzungsmacht, den Amerikanern, zu verdanken. Die standen deshalb bei mir ganz hoch im Kurs. Der Hunger wurde gestillt und es gab warm.
Von dem pr?gnanten Unterstufenlehrer in Mathe, Haags Theo, ist mir der Spruch in Erinnerung: „Bub, hast? dein‘ Kopf verkauft, Bub, kauf?n dir wieder, brauchst’n noch.“
Von Stiers Willi, der gern von seinem galanten Leben als Offizier in Paris w?hrend des zweiten Weltkriegs erz?hlte, ist mir eine peinliche Situation in Erinnerung, als er mich aufrief: ?Hepp, was ist ?ber Spanien zu sagen?? Ich wusste nichts zu sagen. Jupp Werth meldete sich. Er war einer der beiden, die einen Anzug trugen. Er stand auf, in seiner gewaltigen F?lle (die ihm sp?ter als katholischem Priester gut anstand) und verk?ndete (was ich als Standardantwort h?tte wissen m?ssen): „Spanien ist eine Welt f?r sich.“. „Ist recht Werth, setzen.“, klang die sonore und bestimmte Offiziersstimme des Studienrats.
Der andere Sch?ler mit einem Anzug war Ruppersberg, der Gastwirtssohn (aus Ernsthausen?). Er sollte von Henner Laubach auf 4 in Musik gepr?ft werden. Laubach: „Wie viele Kreuze hat G-Dur?“. Ruppersberg stand langsam auf, kn?pfte sich umst?ndlich die Jacke zu. Schaute sich um, und ihm wurde ein Kreuz von Mitsch?lern mit kreuzf?rmig ?bereinander gelegten Fingern signalisiert. In strahlender Gewissheit, er: „Herr Studienrat, ein halbes“. Damit war sein Schicksal besiegelt.
Von unserem Klassenlehrer in der Mittelstufe, StR Nau aus Schr?ck, ist mir am eindringlichsten seine letzte Schulstunde in Erinnerung. Er las uns etwas vor, was, war eigentlich egal. Wir lagerten uns halber um ihn und h?rten ihm and?chtig zu. Mancher hatte wohl eine Tr?ne verdr?ckt. Im Bewusstsein, dass die sch?n Zeit vorbei war. Dabei war sein Mantra: Es hat doch alles keinen Zweck.
Dass sich im Fach Deutsch auch mit Frische und Klarheit denken l?sst, zeigte uns die Referendarin aus Danzig Barbara Winkler. Nebenbei hatte sie auch sch?ne und angenehme H?nde. Was soll das hier, werdet ihr, liebe Klassenkameraden denken. Jaja; man dreht sich doch haupts?chlich um sich selbst.
Herr Hoffmeister versuchte mit dem Begriff Bildende Kunst Ernst zu machen, indem er alle Anstrengungen unternahm, uns Oberstufensch?ler mit der Kunst zu bilden. F?r mich waren Franz Marc, Kandinsky und Mir? ganz neue Welten. Und er entlockte uns ganz eigene Vorstellungen und Empfindungen, die wir dann zu Papier brachten. Ich erinnere mich an ein vielgestaltiges Urwald-gr?n mit dunkleren Armen und helleren Zwischent?nen, aus dessen Mitte ein tempelartiges Gebilde in Rot mit asiatischen Ankl?ngen hervor trat. Das schien Herrn Hoffmeister bemerkenswert. So nah der bildenden Kunst bin ich mir nie wieder vorgekommen.
Im ?brigen litt er auch unter uns Banausen. ?fters kriegten wir zu h?ren „Und ihr wollt gebildete Mitteleurop?er sein.“. Also mit dem bildenden Einfluss der Kunst, war es doch nicht so weit her. Und ich glaube auch, dass keinem von uns in den Sinn gekommen w?re, dass wir das w?ren.
Frau H?ther aus der Savignystra?e mit dem sch?nen Apfelbaumgrundst?ck in Hanglage h?tte ein Lied singen k?nnen von ihrem feinnervigen Schwiegersohn Hoffmeister, aber da w?ren wir schon bei den Klatschgeschichten der Anfang 50iger Jahre im alten Marburg:
Beim Techtelmechtel des Neffen des ber?hmten Rechtsphilosophen Ebbinghaus, selbst Lehrbeauftragter f?r Literatur (Gotisch), mit der ?ppig schwarz gelockten Frau des Haskiel Rosenthal von dem Lokal Wolfsschlucht, nahe der Augustinertreppe. Wie sie im tiefen Wald unterhalb des Spiegelslustturms eintr?chtiglich beisammen sa?en… Von mir beneidet. Tr?stete mich damit, dass mich mein Professor f?r Politik, der damals ber?chtigte Kommunist Wolfgang Abendroth, wie er sagte, beneidete. Weswegen wei? ich bis heute nicht.
Weiter unvorstellbar, dass ein Rechtsprofessor, der sp?ter Rektor wurde, in seiner Vorlesung sagte, dass manche der anwendenden Kommilitoninnen nicht geb?hrenpflichtig von der Bettkante zu weisen seien, was er wohl als Kompliment verstand. So viel zu den Klatschgeschichten.
Gute K?pfe hatten wir in der Oberstufe. Genial und zivil war der Mathematiker Beil, von dessen mathematischem Genie ich leider wegen mangelnder Kongenialit?t, um es schonend f?r mich auszudr?cken, wenig profitieren konnte. Seine feine menschliche Art hat mich beeindruckt.
Lautemann hat uns als Historiker sowie brillanter Redner und Darsteller in seinen Bann gezogen, besonders, wenn er sich bei den alten Griechen erging. Ich bewunderte ihn. Die H?he seine Tones forderte mich aber heraus. Als er uns einmal mit einbeziehen wollte und fragte, wovon die Griechen im Altertum sich wohl ern?hrt h?tten, fiel mir das Trockengem?se der amerikanischen GIs ein, und ich platzte damit heraus: „Wahrscheinlich Trockengem?se.“ Er stutzte einen Moment, wohl ?berlegend, ob das sein k?nnte, sah mein Grinsen, und schon wurde sein Gesicht puterrot, die Adern quollen an den Schl?fen bedrohlich an und es entlud sich ein Gewitter, das ich so nicht wieder erlebt habe. Nach der Stunde fasste ich mir ein Herz und entschuldigte mich bei ihm f?r die Ungeh?rigkeit. Er verzieh mir gro?m?tig, und ich meine sogar in seiner Gunst gestiegen zu sein.
Herr Goetze, unser Klassenlehrer f?r die Oberstufe, hatte es nicht leicht mit uns. Mir brachte er immerhin Klassik und Romantik, auch die englische, so nahe, dass ich mich mit Sprache ein Leben lang besch?ftigte und, dank der Pension bald schon 24 Jahre, mich weiter damit unbek?mmert verlustiere, z.B. mit der Bedeutung und Herkunft der W?rter. Letztlich ist mir so etwas wie die Ehrenrettung des Wortes „albern“ gelungen.
Es gab ?brigens mal eine Abstimmung, ob wir Herrn Goetze als Lehrer behalten wollten oder nicht. Ich erinnere mich, dass Folker und ich entschieden daf?r votierten; Eckhart war der Vermittler, und Goetze blieb. Seine Begeisterung f?r die sakrale Baukunst dr?ckte Goetze bei einer Fahrt nach Fulda im Anblick des Domes so aus. „H?rt auf zu bauen, verkriecht euch in eure H?hlen!“
Es war wohl bei der gleichen Klassenfahrt in die Rh?n, als wir uns morgens vor der Jugendherberge am Brunnen drau?en wuschen. Herr Goetze, der dabei ungeniert seinen blanken Bauch mit stattlicher W?lbung pr?sentierte, erntete von uns kaum verhohlene ?sthetische Schadenfreude. Seine Reaktion: „Wartet erst mal, bis ihr f?nfzig seid.“
Ein Hohelied noch auf die Jugend und Sch?nheit unserer Franz?sischlehrerin Walli Ke?ler. Man stelle sich vor: nur Jungen, fast M?nner und vorne am Tisch die sch?ne Blondine. Ganz aufmerksam sa?en wir da und betrachteten mit Wohlgefallen nicht nur das Gesicht und die Mundbewegungen, der eine oder anderer auch verstohlen die wohlgeformten Knie und Beine. Kurt Seipp wusste sogar von einem privaten Besuch bei ihr zuhause zu berichten. Woran sich alle m?glichen Fantasien kn?pften.
Nicht unerw?hnt bleiben darf unser Lateinlehrer Arendt. Ein Kopf wie aus Stein gemei?elt, kantig, verwittert und vor uns hingesetzt, wie aus alter R?merzeit. Marc Aurel Probus nicht un?hnlich, der Aufst?nde der Germanen niederschlug, aber von eigenen Soldaten erschlagen wurde. Zum stoischen Erbe schien nicht zu passen, dass wenn sich einer von uns auch nur muckste, der Lateinlehrer dem Klassenbuchf?hrer Maar signalisierte ?Schreib ihn auf?. Beim dritten Mal gab?s eine Strafarbeit.
Die gediegene liberale Art unseres Direktors habe ich auch zu sch?tzen gelernt. Er stellte mich, als ich gegen 10 Uhr zu Schule kam, kurz hinter dem Eingangsportal. Wo ich denn herk?me. Vom Gottesdienst. Von welchem Gottesdienst. Dem der Christengemeinschaft. Ob ich denn eine Erlaubnis zum Fernbleiben vom Unterricht eingeholt h?tte. Nein. Das sollte ich aber das n?chste Mal tun.
Viel unbek?mmerter als ich war Udo Demnitz, der Sohn des Direktors der Behring-Werke. Er tauchte im Unterricht auf, wann es ihm passte, konnte aber auch genauso schnell wieder verschwinden. Sehr zum Entsetzen unseres Biologielehrers Mannse Fritz. Ihm fehlten einfach die Worte. Seine asthmatische Stimme konzentrierte sich in dem Ausruf Udo. Wobei das U langgezogen war und immer mehr und h?her anschwoll, bis es im do irgendwo ausklang. Mannse Fritz wurde bald in dem alten sch?nen Friedhof von Marburg beigesetzt. Die Jagdh?rner bliesen und ein Jagdbruder sagte – sehr zu meinem Entsetzen – Fritz Mans sei in die ewigen Jagdgr?nde ?bergewechselt.
Meine Apotheose der sch?nen Franz?sischlehrerin hat mich wohl auch dazu verleitet, bei der Zusammenkunft unserer Jubilare mit dem Direktor Werner (2003) beim Thema: Vision f?r die Zukunft der P?dagogik vorzuschlagen, die Reize des weiblichen Geschlechts in den Unterricht mit einzubeziehen und so eine belebende und disziplinierende Unterhaltungswirkung zu erzielen. Das erzeugte aber nur eine kurze betretene Stille bei der Versammlung. Heute h?tte ich daf?r im #metoo Zeitalter wohl einen Shitstorm zu gew?rtigen. Immerhin erntete ich sp?ter von Guntram Bamberger ein anerkennendes „Schlingel“. Wegweisender und im Trend waren Eckhart Simons Bef?rwortung der berufsbildenden Ma?nahmen durch Praxisn?he und Bewunderung des Computerraums der Schule.
Eckhart Simon, bescheiden und unaufdringlich im Auftreten, vertrat uns meisterlich bei der Schulleitung, man k?nnte auch sagen: einmal Klassensprecher, immer Klassensprecher. Jetzt halt in der Meisterklasse. Jetzt nur nicht rot werden Eckhart.
Ich wollte und konnte mich damals nicht artikulieren, der Tod (2001) meiner Frau ging mir immer noch nach, aber dein Mitgef?hl und das anderer Kameraden, etwa bei der Verabschiedung in der Unterbringung neben der ehemaligen J?gerkaserne, als ich schon im Bett lag, ist mir heute noch gegenw?rtig. Auch deine aufmunternden Zusendungen im hessischen Dialekt sind unvergessen.
Vielleicht ist das der eigentliche Grund, liebe ehemaligen Klassenkameraden, dass ich an euch schreibe. Wir sind zwar, wie die meisten anderen Schulklassen ein w?st zusammengew?rfelter Haufen gewesen mit mehr Abwehrreaktionen als ausstreckenden F?hlern, aber durch das Gesch?ttel der Umst?nde, Zug?nge und schmerzlichen Abg?nge, vor allem aber durch die Langzeitwirkung der gleichen Gesichter aufeinander haben wir doch gelernt, Unausweichliches zu ertragen. Durchaus auch mit erfreulichen Einlagen. Als da waren: Die Partys, vornehmlich von Folker Schmidt organisiert (Mr. Moneymaker). So was wie Freundschaft konnte auch entstehen. F?r mich war Herbert Saran aus der Heinrich-Heine-Stra?e 7 a der beste Freund. Er kam aus einer Klasse von oben runter. Wir sind mit den Fahrr?dern bis zum Bodensee gefahren, haben auch mal im Freien ?bernachtet, ich wei? noch, wie wir morgens um 6 gebibbert haben, die Schwarzwaldkirschen haben uns erst wieder lebendig gemacht: Aber es war zu viel des Guten. In Meersburg bei Annette von Droste-H?lshoff war wieder alles gut. Herbert ist allzu fr?h, er war Chemiker in der Forschung bei Henkel in D?sseldorf, gestorben. F?r mich bleibt er ein Inbegriff von Treue und Verl?sslichkeit. Wenn ich nur daran denke, wie wir die kurvenreiche steile Stra?e von der Burg Lichtenfels heruntersausten und ich st?rzte, fuhr der Dritte im Bunde weiter, Herbert blieb und half mir und dem Fahrrad.
Andere Klassenkameraden hat es auch wie Herbert in der Forschung festgehalten. Ich w?rde mich nicht wundern, wenn Eckhart Simon heute noch seinen Weg in das Max-Planck Institut in Bad Nauheim mit seiner altertumsverd?chtigen Aktentasche findet. Er d?rfte jetzt ja auch um die 85 sein.
Henning Verbeek, Sohn des stellvertretenden Direktors unserer Schule, hoch aufgeschossen, wild zerzaust, und eher zur?ckgezogen hatte sich dem anspruchsvollen Gebiet der Physik ergeben und war im Max-Planck Institut f?r Physik t?tig.
G?nter Wiltinger, zog es noch in seinem Ruhestand in die Altertumsforschung in Darmstadt. Also immerhin 25% an Forschungsdr?ngern in unserer Klasse. Dazu geh?re ich nun ganz und gar nicht. Ich habe sehr fr?h bei meinem Studium der Literatur festgestellt, z.B. w?hrend ich f?r eine Seminararbeit ?ber die Ironie bei Heinrich Heine nachdachte, dass ich entsetzlich viel Zeit brauche um Verzwicktes, Widerspr?chliches, Weinerliches, Gemeines und Geniales so zu entwirren, dass f?r den Leser auch noch ein Aha Erlebnis herauskommt. Es ist nicht alles so verst?ndlich von Heines ?u?erungen, wie: ?Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.? Ich wollte mein Leben nicht in der Klausur, im stillen K?mmerlein verbringen, zumal ich feststellte, dass es genug Menschen gab die der Wissenschaft eindeutig mehr zu bieten hatten. Also sah ich zu, dass ich von der Welt etwas mitbekam. Von der Philipps Universit?t und der Stadt Marburg bekam ich kleinere Stipendien, mit denen ich an der Universit?t Edinburgh Englisch studieren konnte. Es war aber weniger das Studium an der Universit?t als das gesellschaftliche Leben, das mich reizte. Labour, Tories, Liberals und radikale Exoten, nicht zuletzt die Scottish Nationalists lernte ich in den studentischen Vereinigungen kennen. Auch Schauspieler, Minister und middle class families. 1956/57 war f?r mich das gesellschaftliche Ereignis mit den erfrischenden Winden und dem schnellen Wechsel von Sonne und Regenschauern ?ber der George Street von Edinburgh. Ich bin noch nirgendwo mit so offenen Armen aufgenommen worden wie in Schottland. Und wo anders auch nicht wieder. Wie ein willkommener entfernter Verwandter. Als ich zur?ckfuhr nach Deutschland, sagte mir eine Engl?nderin auf dem Schiff: ?England is a country for old age pensioners.?, ?But rather well behaved?, erwiderte ich, in dem Gef?hl, dass ich wieder in die Barbarei zur?ckkehrte.
Wenn ich bei ?meinem? Professor Friedrich Sengle der mich die Empfehlung f?r das Stipendium selbst hatte schreiben lassen, auch das Examen machen wollte, musste ich mich schnell entschlie?en, weil er einem Ruf nach Heidelberg folgen wollte. So ging ich quasi unvorbereitet ins Examen, kam aber durch (etwa 50% war damals die Durchfallquote). Die Referendarzeit verk?rzte ich um ein gutes halbes Jahr, was mir noch durch die Empfehlung meines Professors f?r eine Lehrt?tigkeit beim Deutschen Zentrum in Schweden gelang. Mit meinem englischen Kollegen Norman Flower kam es zu gemeinsamen ?ffentlichen Auff?hrungen mit unserer Sch?lern in Sundsvall. In sch?ner Erinnerung ist mir die Darstellung von Wilhelm Busch Gedicht ?Sie war ein Bl?mlein, h?bsch und fein.?. Die ?berlandfahrten im Winter 1959/60, die manchmal ?ber 11 Stunden gingen, waren nur bedingt unterhaltsam.
Nach dem Referendarexamen 1961 in Marburg lie? ich mich soweit s?dlich wie m?glich versetzen und kam an die Goethe Schule, Gymnasium in Neu Isenburg. Dort wurde ich als erstes vertraut gemacht mit der Ansprache des Hausmeisters an die Sch?ler: ?Was!? ?G?t? (Goethe) Schiile (Sch?ler) wollt ihr soi? Saubube seid ihr, des seid ihr.?. Die Klassen vom 5ten bis zum 13ten Schuljahr stellten sich als recht zahm und lernbereit heraus. Der einzig Aufst?ndische war ich. Mir war das Geld zu wenig. ~900 Mark im Monat, meine Basler Freundin lachte mich aus. Die Kollegen lie?en sich gerne zu einem ?Dienst nach Vorschrift? bewegen. Direktor Marx machte mit. Das f?hrte zu bundesweiten Nachahmungen. Die Presseberichte lie?en mich erkennen, dass wir da etwas losgetreten hatten. Und es dauerte nicht lange, da waren aus den ~900 DM, ~2000 DM geworden. Aber Susanne lachte dar?ber immer noch. Da meldete ich mich nach ?bersee mit Tropenzulage, da waren es schlie?lich ~4000 DM.
Im April 1968 landete Susanne am Flughafen von Congonhas in S?o Paulo, Brasilien. Nachdem ich ihr das gew?nschte Heiratsversprechen geschickt hatte, entschloss sie sich, nachdem sie ihre Ausbildung am Lehrerinnenseminar in Basel abgeschlossen und ihr eine Stelle an der Schweizer Schule in S?o Paulo in Aussicht gestellt wurde, mich zu heiraten. Jetzt war sie also da. Wonnevoll sah ich sie im duftigen Kleid und mit rosigen Wangen den Laufsteg herunterkommen. Mein Kopf platzte fast vor Aufregung, ich hie? sie aber ganz unger?hrt Willkommen. In Santo Amaro, einem Au?enbezirk von S?o Paulo hatte ich eine Doppelhaush?lfte gemietet, da feierten wir mit der Schulprominenz des Col?gio Visconde de Porto Seguro, Herrn Turelli und Dona Elisabeth unsere Hochzeit am 15. Mail 1968.
Susanne hatte au?er einem kleinen K?fferchen einen messingnen Wecker der Firma Oris, den ihre Mutter bei einer Tombola gewonnen hatte, mitgebracht. Die Mitgift. Aber haupts?chlich hatte sie ja sich mitgebracht und ihr Schneider-, sowie Mal- Talent. Damit schm?ckte sie sehr bald das Haus aus, so dass die Hochzeitg?ste sich schon im schweizerischen Landleben umschauen konnten. Von ihrer Heimatbeh?rde war Susanne bitter entt?uscht, weil diese ?in letzter Minute? einen Mann ihr vorgezogen hatte und sie die Stelle an der Schweizer Schule nicht bekam. Ich konnte ihr eine Stellung am Col?gio Humbolt in Santa Amaro besorgen als Kunstlehrerin. Als Ortskraft verdiente sie aber nur einen Bruchteil von dem, was sie als entsandte Kraft bekommen h?tte. Ein Lichtpunkt f?r sie war Celso, ein dunkelh?utiger Turnlehrer, Artist und T?nzer am Col?gio Humbolt, den ich leider nie kennenlernte. Die Nachwehen der Milit?rdiktatur in Brasilien bekamen wir auch zu sp?ren. Direktor Turelli fragte mich, ob der Austauschlehrer Werner sich tats?chlich positiv ?ber Kubas Fidel Castro ge?u?ert h?tte, die Zust?nde der Gef?ngnisse in S?o Paulo k?nnten wir uns nicht vorstellen. Das war die andere Seite der dreist?ckigen Hochzeitstorte und der 74 Gl?ser. ?Konservativ war Trumpf?. Als ich mal keinen Schlips trug, kam Turelli sogleich herbei geeilt, lie? einen Schlips von sich holen und meinte, ich h?tte wohl vergessen, meinen umzubinden.
In einem ?hnelten sich die Zust?nde der autorit?ren Chemiemetropole S?o Paulo denen der demokratischen Heimatstadt meiner Frau, Basel: Im Gestank. Vielleicht stank der Tiet? (Fluss in S?o Paulo) noch penetranter als der Rhein in Basel 1968. Von der inzwischen umbenannten Chemie- und Farbenfirma Ciba Geigy, der der Schweizer Maag in S?o Paulo vorstand, mussten die Abw?sser ungefiltert in den Fluss geleitet worden sein. In dem schmierigen Schmutzwasser konnte sich kein Himmelblau mehr spiegeln. Darauf angesprochen, konnte mir Herr Maag nur eine Zigarre anbieten. Auch bei Wiederholung, gleiches Verfahren. ?Die Deutsche Gesellschaft? in S?o Paulo, in der ich auch einen Vortrag des damaligen Schatzmeisters der CDU, Walter Leisler-Kiep, der die schwarzen Kassen verwaltete, mitbekam, war so verhockt, dass ich es da nicht aushielt. Und neugierig wurde, was sich Ungeheuerliches in Deutschland tat. Da wollten wohl noch einige raus aus dem alten Muff.
In Ehlhalten im Taunus bei Eppstein bauten wir unser erstes Haus und bekamen dort unsere beiden Kinder Marcel (1962) und Kathrin (1975). Beide in Wiesbaden geboren.
1970, zur?ck in K?nigstein im Taunus, kriegte ich sehr bald von dem Wirbelwind, der durch Universit?ten und Schulen ging, einiges mit, so ?schlimm? wie an der Frankfurter Goethe Universit?t, wo Gruppen von Studenten die H?rs?le st?rmten, die Fenster aufrissen und die Vorlesungen aufl?sten – meine Portugiesischlehrerin war ganz entgeistert ? war es an der Taunus-Schule nicht. Auch schwierige Mittelstufenklassen, die man gerne dem Mann aus S?damerika zuschusterte, nahm ich gerne an. Da war doch wenigstens noch Leben drin. Das war freilich nicht immer leicht zu h?ndeln. Bei einem Jugendherbergsaufenthalt mit einer 9ten Klasse kam eine Sch?lerin, bereits im Bewusstsein voller weiblicher Kompetenz, mit ihren Freundinnen herbeigeeilt und best?rmte mich, etwas zu tun. Kai habe Liebeskummer, er drohe sich etwas anzutun und sei verschwunden. Was tun? Ich schickte die Truppe erst mal zu Frau Jasis, die mich begleitende Biologielehrerin, die ich f?r geeigneter hielt, ein solches Problem zu l?sen. Frau Jasis schickte sie wieder zu mir. Man k?nnte die Ortspolizei benachrichtigen, man k?nnte die Eltern anrufen, den Jungen abzuholen, wenn er wieder auftauchte, oder einfach abwarten, ob er bis zum Abendbrot wieder da war. Ich entschied mich f?r Letzteres. War aber unruhig, als er zum Abendbrot nicht da war. Ich hatte die Sache einfach herunterspielen wollen und nicht in das Wehgeschrei des Bankiert?chterleins mit einstimmen wollen.
Gravierendere Unruhen gab es bei einer Sch?lerversammlung hunderter Sch?ler an der Taunus Schule. Ein Stellvertreter der Direktion, Herr Sch?fer, Buddha-Gesicht mit Lenin-Bart, bleibt mir in Erinnerung wie er mit stoischer Gelassenheit den Anw?rfen (w?rtlich zu verstehen) standhielt, und im dem allgemeinen Tohuwabohu geduldig wartete, bis er mit sanfter Stimme wieder durchdringen konnte. Das aber nur, weil die Sch?ler sp?rten, dass da einer war, der sie verstehen wollte. Die Geduld dazu hat mir leider ein Leben lang gefehlt (4-). Daf?r war es bei mir selten langweilig (2+).
Aus Hessen wollte Susanne, die Basel-Landschafterin, gar nicht mehr weg. Schlie?lich gelang es mir mit der Familie in die N?he der Schweizer Grenze zu ziehen. Das war 1979. Da ging es aber nur noch mit Genehmigung des Baden W?rttembergischen Finanzministeriums. Wir wollten doch die M?glichkeit haben, leichter unsere alten Eltern besuchen zu k?nnen, die oberhalb des Vierwaldst?tter Sees, bzw. des Lago Maggiore wohnten. Bei der Grundst?cksuche am Hochrhein erinnerte ich mich an die Aussage der Gro?mutter eines Sch?lers am Badestrand von Barranquilla in Kolumbien, die mir 1966 gesagt hatte, dass es noch g?nstige Grundst?cke im Hotzenwald g?be. Und ich fand eins von etwa 1800m? in Murg-H?nner mit gelegentlichem Alpenblick unter 80.000 DM. Da h?ngte ich mich sofort ans Telefon und rief das Oberschulamt in Freiburg an und fragte, ob ich eine Stelle an dem n?chstgelegenen Gymnasium in Bad S?ckingen bekommen k?nnte. Er sagte ja, aber riet ab wegen des Direktors. Meine Antwort: ?Die Direktoren kommen und gehen, aber die Landschaft bleibt.?. Ich erhielt die Stelle, und wir beiden behielten Recht. In 79730 H?nner, Weiherhalde 12 lie?en wir uns eine sch?nes Haus bauen, ?hnlich dem im Taunus nur mit drei statt zwei Etagen.
Die letzten sieben Jahre ihres Lebens verbrachte meine Mutter Brigitte den Winter bei uns im Gro?mutterzimmer bis 1989. Sie sagte, die n?chterne Landschaft bei uns sei f?r sie zur Abwechselung wohltuend. Auf Dauer sei es mit soviel Sch?nheit wie im Tessin nicht auszuhalten. Hier zeigen sich S?ntis, Eiger, M?nch und Jungfrau nur hin und wieder. Ein See, freilich, fehlt uns. Daf?r einen gro?en Fluss in der N?he. Nur, muss man sich heute fragen: Wann wird der Rhein zum Wadi, bei dem rasanten Abschmelzen der Gletscher. Gro?mutter Helene l?ste meine Mutter im Gro?mutterzimmer ab und starb 1995 mit 93 Jahren im Regionalspital Laufenburg. Meine Frau Susanne starb mit 54 Jahren in Bad S?ckingen 2001. Die ersten drei Jahre danach waren f?r mich happig. In die Zeit fiel auch unser Treffen in Marburg. Ich fand es von mir kl?glich, dass ich so wenig dazu beigetragen habe. Vielleicht fiel mir jetzt deshalb ein, mit einem Beitrag aus meinem Leben dem Vorschlag von Folker nachzukommen. 15 Jahre nach unserem Treffen. Ob es noch angenommen wird? Wen es noch erreicht? Ich w?rde mich sehr freuen, wenn noch ein Echo k?me. Guntrams ?Schlingel? habe ich noch in bester Erinnerung und Eckharts und Manfreds, sowie G?nters Frauen habens mir?s telefonisch auch angetan. Und so lange, wie ich einmal mit Henning am Telefon gesprochen habe, war mir das w?hrend der ganzen Schulzeit nicht gelungen. Mit Folker hatte ich sogar einmal sch?ne und kontroverse Tage in Tessin. In seinem alten Domizil Horben hatten wir das gr??te Gaudi als er Gro?mutter Helene die Ausziehleiter zum Dach hoch lotste. Noch bei der ?Goldenen? zeigte er unglaubliche Frische und Jugendlichkeit in Mimik und Bewegung.
Auch wenn wir alle unserer eigenen Kreise gebildet haben, ist es doch sch?n, das eine oder andere vom einen oder anderen zu h?ren. Leider kann nichts mehr von Herbert kommen, auch nicht von Guntram oder Heinrich, dem Bessarabier aus Australien.
Vor etwa 16 Monaten bin ich nachts beim Aufstehen zusammengesackt. Meine Hilfe Sabine fand mich nach 1 ? Tagen und es dauerte ein ? Jahr, bis ich wieder beisammen war. Jetzt finde ich es wieder sch?n zu Leben; das liegt aber auch daran, dass die bewegten Lebensl?ufe meiner Kinder, Marcel arbeitet als Jurist am Bundesamt f?r Verkehr in Bern und Kathrin als Physiotherapeutin in Basel, mich nicht einschlafen lassen.
Es lebe das Leben,
es lebe der Tod,
mit all dem sch?nen und elenden Drum & Dran
in der Erinnerung!
Nur das Schreckliche bleibe uns erspart.
Das w?nsche ich mir und Euch,
liebe ehemaligen Klassenkameraden,
?Euer? Johannes
Gunter Schenk
10. August 2019 @ 22:57
Hallo Johannes,
ich bin Manfreds j?ngerer Bruder, in der VI A im Schuljahr 1952-53 konnte ich noch ein Jahr lang von Manfreds gutem Ruf profitieren. Ja, zum 1. Advent 1952 studierte ich sogar (schlecht und recht Violine) mit meinem Mitsch?ler Klaus Villinger (Blockfl?te) Adventslieder unter Manfreds Leitung ein, was unserer aus Aachen stammenden jungen Klassenlehrerin Spindelegger, sie war, ungew?hnlich im protestantischen Marburg (siehe Direktor Diekmann, Vorstand in der Elisabeth-Kirchen-Gemeinde) katholisch, gro?e Freude bereitete. Auch an H?ndels „Gro?es Halleluja“ unter der Leitung des halb erblindeten Henner Laubach und an das Schulorchester, bei dem Euer Jahrgang und darum auch der das Abitur zu feiernde „gro?e Bruder Manfred“ in der 1. Geige spielte, ist mir in guter Erinnerung. Wie oft haben wir, Manfred und ich, sp?ter ?ber die Mitsch?ler, Henning, Guntram und, ja auch ?ber Hannes Hepp gesprochen. Ja, und wie gern w?rde ich Manfred von Deinem sch?nen Eintrag im Internet (auf den ich zuf?llig stie?) berichten. Jedoch, Manfred lebt inzwischen, gut beh?tet zwar, in einer „seligen Wolke“ in einem Zehlendorfer Pflegeheim, ganz in der N?he des Eigenheimes in Schlachtensee, sodass sich Manfreds Ehefrau Renate t?glich liebevoll um ihn k?mmern kann. Ob er Deinen sch?nen Text wahrnehmen wird, ist nicht sicher. Jedoch werde ich ihn noch heute Abend seiner Tochter Claudia – sie ist Mathematik- und Sport*-Lehrerin in Berlin, ?bermitteln, damit sie Manfred Deinen Bericht vorliest. Ach ja, das verga? ich beinahe: nicht nur als Mitglied im Schulorchester Henner Laubachs, auch als exzellenter Ger?teturner unter dem Sportlehrer Herrr Drrr. (!) Mess war Manfred ein guter Ruf-Vorschuss f?r mich, weniger flei?ig als er, von dem ich noch eine gute Weile profitieren konnte. Ich selbst lebe mit meiner franz?sischen Ehefrau in (und bei) Stra?burg. 4 S?hne, sowie 4 Enkel sind aus unserer nun ?ber 48 Jahre andauernden Ehe hervorgegangen. Mein Bruder Manfred und Renate haben einen Sohn und eine Tochter und, ?ber diese, 2 hellwache Enkel. Demn?chst werde ich Manfred und seine Familie in Berlin besuchen und, soweit wie m?glich, von Dir berichten.
Das Realgymnasium, sp?ter Martin-Luther-Schule, hat hervorragende Sch?lerbiografien hervorgebracht.
Johannes
6. Mai 2018 @ 15:53
Es ist wunderbar in unserem Alter noch Echos aufnehmen zu k?nnen, wie von fernen Inseln zugesandt.
Von den sieben angeschriebenen Klassenkameraden haben immerhin f?nf mindestens ein Lautzeichen gegeben, drei sogar bereichernde Zugaben aus Schul- und Berufszeit hinzugef?gt.
Mit Dankbarkeit stell ich fest, dass schon die Stimmen am Telefon vermitteln, dass wir nicht nur Einzelne, sondern in der Verbindung mit den Charakteristika der Anderen eine Gemeinschaft alter Marburger sind.
Das Tollste w?re, wenn zu den von Herrn Mette liebensw?rdigerweise ver?ffentlichten und mit Bildern versehenen Text noch Zurufe von etwa noch vorhandenen Schulkameraden k?men, die noch Zugang zu unseren Zeiten haben.
Gruss Hannes